Phytopharmaka und Hausmittel: Oft gibt es wirksame Alternativen zu Antibiotika

Interview mit Dr. med. Thomas Rampp, Oberarzt in der Klinik für Naturheilkunde und Leiter des Instituts für Naturheilkunde, Traditionelle Chinesische und Indische Medizin, Kliniken Essen-Mitte

Herr Dr. Rampp, um das Resistenzproblem einzudämmen, sollte der Einsatz von Antibiotika auf das nötigste Minimum beschränkt werden. Sind wir hier bereits auf einem guten Weg?

Obwohl der Zusammenhang zwischen einem zu häufigen Antibiotikaeinsatz und einer stetig abnehmenden Wirksamkeit gegen Bakterien inzwischen hinlänglich bekannt ist, ist die Zahl der Antibiotika-Verschreibungen nach wie vor zu hoch – sowohl in Kliniken als auch bei niedergelassenen Ärzten. Dies liegt unter anderem daran, dass bei banalen und nicht sicher bakteriologisch verursachten Infektionen viel zu häufig und zu unkritisch Antibiotika verordnet werden. Insbesondere auch bei Erkältungskrankheiten, die durch Viren ausgelöst werden gegen die Antibiotika bekanntermaßen gar keine Wirkung zeigen. Bei bestimmten Infektionen und Krankheitssituationen bieten sich zudem effektive und gut verträgliche pflanzliche Alternativen an – solche Behandlungsansätze werden im klinischen Alltag aber noch zu selten in Betracht gezogen.

Warum wird Ihres Erachtens noch nicht häufig genug auf Substanzen aus der Natur zurückgegriffen?

Hier muss endlich ein Umdenken stattfinden: Antibiotika sollten immer nur dann verordnet werden, wenn sie auch nötig sind. Ein Beispiel: Der Antibiotika-Einsatz bei einer bakteriell bedingten Lungenentzündung bei einem immungeschwächten Patienten ist absolut sinnvoll und in der Regel lebensnotwendig. Viele Patienten drängen aber geradezu darauf, auch bei ganz banalen Infekten ein Antibiotikum zu erhalten, mit der Vorstellung schnell wieder fit zu werden und möglichst keine Krankschreibung zu benötigen. Sie haben die Sorge, dass eine naturheilkundlich orientierte Behandlung mehr Zeit in Anspruch nehmen könnte und lehnen diese deshalb ab. Dabei sind pflanzliche Wirkstoffe bei bestimmten Infektionen eine echte Alternative, die den Patienten sogar diverse Vorteile bieten kann.

Welches sind die Vorteile einer naturheilkundlichen Behandlung?

Die Mehrzahl der pflanzlichen Substanzen wirkt auf mehreren Ebenen: Sie können Bakterien und zugleich Viren bekämpfen und dazu noch antientzündlich wirken. Zudem können Wirkstoffe aus der Natur das Immunsystem unterstützen und so auch vor möglichen Rückfällen schützen. Die Gesamtheit der nützlichen Darmbakterien, die sogenannte Mikrobiota wird nicht geschädigt und mögliche unerwünschte Begleitwirkungen der Antibiotikatherapie wie z.B. Scheidenpilz-Infektionen sind somit nicht zu befürchten. Zu guter Letzt trägt jede naturheilkundliche Behandlung dazu bei, die Resistenzproblematik nicht noch zu verschärfen.

Wieso sind pflanzliche Substanzen überhaupt so wirksam?

Pflanzen bilden hochwirksame Wirkstoffgemische, um sich vor Fraß-Feinden, Parasiten oder Infektionen zu schützen. Denn ebenso wie der Mensch sind auch Pflanzen von Infektionen durch Mikroorganismen, also Pilze, Bakterien und Viren bedroht. Da Pflanzen kein Immunsystem haben dient eine Vielfalt an sekundären Pflanzenstoffen unter anderem dazu, das Gewächs zu schützen. Antientzündliche und antibakteriell wirksame Pflanzeninhaltsstoffe finden wir in der Natur z.B. in den unterschiedlichsten Obst- und Gemüsesorten, in Gewürzpflanzen, in der Rinde in Blättern und Wurzeln.

Welche Pflanzen bzw. pflanzliche Wirkstoffe sind auch für den Menschen sinnvoll?

Ein Klassiker bei Ohrenschmerzen ist die Zwiebel: Diese hat antibakterielle und antivirale Eigenschaften und wird in der Naturheilkunde häufig bei leichten Infektionen vor allem im Kindesalter angewendet. Sobald sich Ohrschmerzen ankündigen einfach die Knolle kleinhacken, über Wasserdampf erwärmen und in ein Stofftuch geben. Das Paket anschließend für ca. eine Stunde auf das Ohr legen und z.B. mit einem Stirnband dort befestigen.

Ebenso einfach hergestellt ist eine Spülung zur Verminderung der Keime bei Hals- und Rachenentzündungen: Hierfür kleingeschnittenes Kraut von Thymian und Salbei oder Blüten von Kamille mit Wasser überbrühen, nach zehn Minuten die Mischung abseihen und drei- bis fünfmal täglich mit der Lösung gurgeln.

Auch die scharfen Öle (Senföle) von Meerrettich helfen bei Husten, Schnupfen und Bronchitis: Hierfür frischen Meerrettich reiben, eine Schicht auf ein Stofftuch geben und auf die Brust bzw. die Stirn bei Schnupfen und Nasennebenhöhlenentzündung legen.

Ein wenig aufwändig hört sich das schon an. Scheitern naturheilkundliche Verfahren teilweise auch daran, dass Patienten lieber eine Pille schlucken als Zwiebelwickel vorzubereiten?

In der Naturheilkunde gilt die Devise, wer sich beizeiten zu wenig Zeit für seine Gesundheit nimmt, der braucht später viel Zeit für seine Krankheit. Einigen Patienten ist der Aufwand, sich Wickel und Lösungen selbst zuzubereiten, zu hoch. Für diese Personengruppe lohnt sich dann der Weg in die Apotheke: Hier sind zahlreiche standardisierte Präparate verfügbar, in denen wirksame Pflanzeninhaltsstoffe in Arzneimittelform und -qualität verarbeitet sind. So sind antibakteriell und antiviral wirksame Senföle, die in der Natur zum Beispiel in der Meerrettichwurzel, im Brokkoli und im Senf vorkommen, in einem Fertigarzneimittel für Erkältungskrankheiten und Blasenentzündung verfügbar. Ebenso gibt es in vielen Apotheken Mischungen von ätherischen Ölen aus Eukalyptus oder Süßorange für die Linderung von Nasennebenhöhlenentzündungen.

Was würden Sie sich für die Zukunft im Hinblick auf den Einsatz von pflanzlichen Wirkstoffen wünschen?

Für die Zukunft wünsche ich mir eigentlich einen Blick in die Vergangenheit: Die antibiotische Wirkung pflanzlicher Stoffe ist zum Teil schon seit Jahrtausenden bekannt, teilweise aber leider in Vergessenheit geraten. Der Stellenwert von solchen Pflanzen ist im Hinblick auf ihre Wirkung auch gegen multiresistente Bakterien jedoch wichtiger denn je. Daher wünsche ich mir, dass pflanzliche Behandlungsansätze gerade bei leichteren Infektionen in den Fokus der Behandlung rücken und Antibiotika für schwerwiegende Infektionen aufgespart werden. Also eine abgestufte individuelle Vorgehensweise je nach Art- und Schweregrad der Infektion unter Berücksichtigung der derzeitigen Immunitätslage des Erkrankten. Also nicht immer gleich mit der Kanone auf den berühmten Spatz schießen!

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