Harnwegsinfekte: Wo liegen die Herausforderungen bei älteren Patienten
Interview mit Dr. med. Andreas Lucas, Facharzt für Urologie, Dietzenbach
Sind Harnwegsinfekte bei älteren Patienten ein häufiges Phänomen?
Ja, das kann man so sagen: Mit zunehmendem Alter steigt auch die Prävalenz, also die Häufigkeit des Auftretens von Harnwegsinfekten. Liegt diese zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr bei Frauen bei 5 % und bei Männern bei 1 %, erhöht sich das Vorkommen in der nächsten Dekade bereits auf 10 % bei Frauen und 5 bis 10 % bei Männern. Kommen mit steigendem Alter Störungen verschiedener Organe hinzu steigt das Risiko weiter an. Bei der Betrachtung von Betagten, die in Pflegeheimen leben, stellen Harnwegsinfekte mit rund einem Drittel die häufigste Infektionskrankheit dar.
Warum treten Harnwegsinfekte gerade in Pflegeeinrichtungen so häufig auf?
Die Übertragung von Keimen ist für gesunde Menschen im Alltag in der Regel unproblematisch. Anders verhält sich dies im medizinisch-pflegerischen Kontakt: Durch Waschen, die Versorgung von Wunden oder den Wechsel von Inkontinenzmaterialien werden Keime an immungeschwächte Patienten weitergegeben und können – so auch in den Harnwegen – Infektionen auslösen. Zudem wird aufgrund einer beengten Versorgungssituation die Ausbreitung von Keimen erleichtert. Je mehr Menschen und damit potenzielle Keimträger zusammentreffen, umso größer ist die Gefahr, dass sich auch resistente Bakterien verbreiten und abwehrgeschwächte Personen anstecken. Resistente Keime, die überall dort auftreten, wo vermehrt Antibiotika eingesetzt werden, sind schon längst nicht mehr nur in Kliniken nachweisbar, sondern finden sich auch immer häufiger in Pflegeeinrichtungen.
Welche Faktoren begünstigen im Allgemeinen das vermehrte Auftreten im Alter?
Beeinträchtigungen bestimmter Organe aufgrund von Alterungsprozessen oder infolge von Grunderkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus spielen hierbei sicher eine große Rolle, aber auch eine altersbedingte Schwächung des Immunsystems begünstigt die Entwicklung von Blasenentzündungen. Restharnbildung, Inkontinenz und Dauerkatheter sind urologische Faktoren, die häufig ältere Patienten betreffen und die Ausbreitung von Erregern im Harntrakt, die Blasenentzündungen auslösen können, fördern.
Warum ist das weibliche Geschlecht häufiger betroffen?
Aufgrund der kürzeren Harnröhre steigen Darmbakterien leichter zur Blase auf als bei Männern – das ist auch bei jüngeren weiblichen Patienten so. Bei Frauen im fortgeschrittenen Alter kommt hinzu, dass sich mit den Wechseljahren die Hormonsituation ändert und mit sinkendem Östrogenspiegel die Schleimhaut in Scheide und Blase dünner, trockener und anfälliger für Infekte wird. Frauen weisen zudem häufig einen geschwächten Beckenboden oder eine Gebärmuttersenkung auf – beides sind Faktoren, die eine vollständige Entleerung der Blase verhindern können. Der Restharn wird zum Nährboden für die unerwünschten Keime. Eine zunehmende Belastungsinkontinenz, d.h. ein ungewollter Urinverlust beim Husten, Tragen schwerer Lasten und Lachen macht den Gebrauch von Slipeinlagen oder Binden – übrigens auch bei jüngeren Frauen nach Geburten - erforderlich. Diese feuchten Inkontinenzhilfen bieten zudem einen idealen Nährboden für Erreger von Harnwegsinfekten. Doch auch bei Männern tragen körperliche Veränderungen dazu bei, dass auch diese mit zunehmendem Alter vermehrt unter Blasenentzündungen leiden. Eine vergrößerte Prostata kann die Harnröhre einengen oder auf die Blase drücken. Beides erschwert eine vollständige Blasenentleerung wodurch auch bei älteren Männern die Ausbreitung von Erregern, die Harnwegsinfekte verursachen, wahrscheinlicher wird.
Ältere Patienten benötigen häufig dauerhaft einen Blasenkatheter. Welchen Einfluss hat dieser auf die Entwicklung von Harnwegsinfekten?
Katheter kommen zur Anwendung, wenn Patienten die Blase aufgrund von medizinischen Eingriffen oder Immobilität nicht selbständig entleeren können. Das Problem: Das Fremdmaterial kann durch Bakterien, die auch Harnwegsinfekte auslösen können, besiedelt werden. Das ist vor allem bei immungeschwächten Personen in Pflegeheimen oder Krankenhäusern problematisch. 80% der Fälle von Harnwegsinfektionen, die in den genannten Einrichtungen auftreten, werden durch Katheter ausgelöst. Obwohl nahezu alle Patienten mit Blasenkatheter Bakterien über den Harn ausscheiden, muss dies jedoch nicht zwangsläufig zu einem Harnwegsinfekt führen. In diesen Fällen spricht man von einer asymptomatischen Bakteriurie (ASB), die übrigens auch bei Patienten ohne Katheter auftreten kann.
Welche Behandlung hat sich bei Harnwegsinfekten bei älteren Patienten bewährt?
Um unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Resistenzbildungen zu vermeiden, sollten Antibiotika nur wenn sie wirklich nötig sind eingesetzt werden. Eine asymptomatische Bakteriurie führt nicht zwangsläufig zu einem Harnwegsinfekt und kann spontan ausheilen. Bei unkompliziert verlaufenden Harnwegsinfekten hat sich - auch bei älteren Patienten - ein Behandlungsversuch mit pflanzlichen Medikamenten bewährt. Zu nennen wären hier z.B. Senföle, die sich in der Harnblase anreichern und gegen krankmachende Bakterien wirken können. Wird eine antibiotische Therapie aufgrund von komplizierenden Faktoren notwendig, gelten für ältere Patienten vergleichbare Grundsätze wie bei Jungen: Das Antibiotikum sollte gezielt die auslösenden Erreger bekämpfen und Begleiterkrankungen sowie zusätzlich eingenommene Medikamente müssen bedacht werden. Eine abnehmende Nierenfunktion, die bei älteren Patienten häufiger auftritt, sollte zudem als Auswahlkriterium berücksichtigt werden.
Können pflanzliche Therapieansätze auch mit einer Antibiotikatherapie kombiniert werden?
Das ist durchaus sinnvoll: Eine aktuelle Studie zeigt, dass Katheter-Patienten, die ein Antibiotikum aufgrund einer komplizierten Harnwegsinfektion bekommen haben, von der zusätzlichen Anwendung von Senfölen profitieren konnten und diese Kombination somit eine geeignete Therapieoption darstellt 1). Neben Argumenten bezüglich der Wirksamkeit entspricht ein solch kombiniertes Vorgehen auch dem Wunsch der Patienten: Einer Umfrage zufolge befürworten 75 Prozent der Deutschen eine integrative Medizin, also das Zusammenspiel von Schulmedizin und ergänzenden Therapien wie z.B. Naturmedizin. Zudem sei erwähnt, dass diese Studie auch aufzeigt, dass eine Senföl-Anwendung sinnvoll ist, wenn Patienten mit Kathetern immer wieder an Harnwegsinfekten erkranken. Je seltener Harnwegsinfekte erneut auftreten, desto effektiver können Antibiotika eingespart werden. So kann nicht nur die Resistenzproblematik eingeschränkt, sondern auch Pilzerkrankungen und Durchfälle infolge einer Schädigung der natürlichen Bakterienflora des Darmes und der Vaginalflora vermieden werden.
1. Lau et al. Phytotherapie bei katheter-assoziierten Harnwegsinfektionen. Der Urologe, published online 27 July 2018 [https://doi.org/10.1007/s00120-018-0740-1]
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