Da sich das Immunsystem von Kindern noch im Aufbau befindet, sind diese besonders anfällig für Infekte: Mittelohrentzündungen, fiebrige Erkältungen und Grippeerkrankungen treten demzufolge gerade in den ersten Lebensjahren besonders häufig auf. Bei diesen meist durch Viren ausgelösten Krankheiten werden Kindern oft unnötigerweise Antibiotika verschrieben. Doch chemische Antibiotika helfen hier nicht, diese wirken nur gegen Bakterien. Welche regionalen Unterschiede es bei der Verordnung von Antibiotika bei Kindern in Deutschland gibt, zeigt die aktuelle Studie „Faktencheck Antibiotika“ der Bertelsmann-Stiftung auf.
Antibiotika im Nordosten häufiger
Die Datengrundlage zur Ermittlung der aktuellen Zahlen zur Nutzung von Antibiotika bildeten hierbei die Barmer GEK-Routinedaten 2009/2010. Im Mittelpunkt stehen Antibiotika-Verordnungen, im Speziellen für Kinder und Jugendliche bis einschließlich 17 Jahre.
Antibiotika sind die am häufigsten verordneten Arzneimittel im ambulanten Bereich. Insgesamt erhielten im Jahr 2009 bundesweit bei allen Erkrankungen 38 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahren chemische Antibiotika. Bei den Drei- bis Sechsjährigen war es sogar jedes zweite Kind. Insgesamt fallen jedoch deutliche regionale Differenzen beim Verordnungsverhalten ins Auge: Die repräsentative Untersuchung zeigt, dass die meisten Verordnungen in Sachsen-Anhalt (50,6 %), im Saarland (46%) und in Thüringen (44%) zu verzeichnen sind. Die niedrigsten Verordnungen finden sich in Schleswig-Holstein (31,1%), Bremen (33,6%) und Baden-Württemberg (33,8%). Betrachtet man die einzelnen Kreise, erhielten im verordnungsärmsten Kreis 19,3% Antibiotika, im verordnungsstärksten waren es 52,5%.
Unterschiedliches Verschreibungsverhalten bei den Fachärzten
Die Studie zeigt neben regionalen Unterschieden auch ein unterschiedliches Verordnungsverhalten von Antibiotika in den Facharztgruppen. „Bei nicht eitrigen Mittelohrentzündungen, bei denen Antibiotika laut Leitlinien nur in Ausnahmefällen angezeigt sind, verordnen 33 % der Hausärzte Antibiotika, aber nur 17 % der Kinderärzte und neun Prozent der HNO-Ärzte. Bei Lungenentzündungen, wo die Verordnung von Antibiotika angezeigt ist, waren es 80 Prozent der Kinderärzte, aber nur 66 Prozent der Hausärzte“, so die Studienautoren.
Eindeutige Erklärungen für die großen regionalen Unterschiede liefern die Autoren nicht. Der Gesundheitsökonom Professor Gerd Glaeske fasst die Ergebnisse so zusammen: „In Regionen, in denen Allgemeinärzte häufig aufgesucht werden, werden auch mehr Antibiotika verordnet. Der Druck in einer Allgemeinpraxis, viele Patienten zu behandeln, könnte damit zu tun haben.“
Über- und Fehlversorgung müssen verringert werden
Der übermäßige und häufig nicht sachgerechte Einsatz chemischer Antibiotika in den Arztpraxen und Krankenhäusern führt dazu, dass die Zahl resistenter Bakterien stetig ansteigt. Eine Resistenz kann zum Beispiel dadurch entstehen, dass die Antibiotikabehandlung zu früh beendet wird, zu niedrig dosiert ist oder die Einnahme unregelmäßig erfolgt. Dann überleben einige Bakterien und sind danach nicht mehr empfindlich gegenüber diesem Medikament. Diese Eigenschaft geben sie dann auch an die nachfolgenden Generationen weiter. So entstehen resistente Bakterienstämme, die nur noch schwer zu bekämpfen sind. Für die Behandlung wirklich schwerer bakterieller Infektionen, die unter Umständen lebensbedrohlich werden können, stehen daher immer weniger Antibiotika zur Verfügung. Um ein Fortschreiten von Resistenzbildungen zu vermindern muss ein Umdenken beim Einsatz von Antibiotika erfolgen, Über- und Fehlversorgung müssen verringert werden. Abschließend sollte aber erwähnt werden, dass im internationalen Vergleich in Deutschland eher selten Antibiotika verschrieben werden.
Quelle: „Faktencheck Gesundheit – Antibiotika-Verordnungen bei Kindern“. Erstellt im Auftrag der Bertelsmann Stiftung auf Basis von Daten der BARMER GEK.
Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik (ZeS)